Unterschiedliche Verläufe, gleiche Risikofaktoren

Unterschiedliche Verläufe, gleiche Risikofaktoren

26. November 2021

Noch sind nicht alle Ursachen der Multiplen Sklerose bekannt. Forscher aus Europa konnten jedoch zeigen, dass sowohl PPMS als auch der schubförmige Verlauf die gleichen Risikofaktoren haben.

Die Multiple Sklerose beginnt in zwei verschiedenen Krankheitsverläufen:

  • als primär progredienter Verlauf, kurz PPMS, oder
  • als schubförmig-remittierender Verlauf, kurz RRMS.

Bei den meisten Menschen beginnt die MS schubförmig-remittierend, d. h. die Erkrankung verläuft in Schüben, in denen neue Symptome innerhalb kurzer Zeit auftauchen, sich aber im Laufe von Wochen oder Monaten auch wieder zurückbilden können. Beim primär progredienten Verlauf hingegen tauchen neue Symptome allmählich auf und verschlechtern sich ebenso allmählich. Man spricht auch vom schleichenden Verlauf.

Unterschiedliche MS-Verläufe: schubförmig und schleichend

Bei den wenigsten beginnt die MS schleichend. Doch auch bei denjenigen, die zunächst eine schubförmige MS haben, geht dieser schubförmige Verlauf binnen Jahren oder auch Jahrzehnten über in einen schleichenden Verlauf.

Die schubförmige Multiple Sklerose ist aufgrund ihrer Entzündungsschübe besser zu behandeln. Hier geht es hauptsächlich darum, dauerhaft und durchaus prophylaktisch Entzündungen zu reduzieren und so Gewebe im Gehirn und im Rückenmark zu erhalten. Die stärksten der zugelassenen Wirkstoffe haben einen hohen Effektivitätsgrad. Auch für die primär progrediente MS stehen mittlerweile Immunmodulatoren zur Verfügung, jedoch sind sie nicht so effektiv wie die Wirkstoffe gegen schubförmige MS.

Man geht mittlerweile auch davon aus, dass subklinisch auch bei Menschen mit schubförmigerm Verlauf zeitgleich eine Progredienz, also eine schleichende Verschlechterung wirkt. Sie nimmt im Laufe der Zeit zu, während die Schübe zurückgehen.

Immer noch herrscht jedoch auch Unsicherheit, ob es sich möglicherweise bei den beiden Krankheitsverläufen PPMS und RRMS um unterschiedliche Krankheitsbilder handeln könnte. Eine aktuelle Studie aus Schweden liefert weitere Fakten dafür, dass beiden Krankheitsverläufen ein und dieselben Mechanismen zugrunde liegen, es sich also um ein und dieselbe Erkrankung handelt.

Umweltfaktoren, Lifestyle und Gene: Einfluss auf beide Verläufe

Die schwedische Studie untersuchte dazu umweltbedingte Risikofaktoren und deren Interaktionen mit dem humanen Leukozytenantigen DRB1*15:01 im Hinblick auf schubförmig und schleichend beginnende MS.  Dafür verwendeten die Forscher zwei schwedische bevölkerungsbasierte Langzeit-Fall-Kontroll-Studien, mit 7.520 Fällen mit schubförmigem und 540 Fällen mit schleichendem Beginn, dazu 11.386 Kontrollpersonen, die nach Alter, Geschlecht und Wohngebiet abgeglichen wurden.

Umwelt- und Lebensstilfaktoren in den MS-Patientendaten waren standardisiert erfasst worden, außerdem existierten Blutproben. Die Umweltfaktoren wurden logisch in Bezug zu dem Risikogen gesetzt. Zu diesen Faktoren zählten:

  • Rauchen,
  • Schnupftabak,
  • Alkohol,
  • Fettleibigkeit,
  • Epstein-Barr-Virus und
  • wenig Sonnenlicht.

Interessant: Alle bekannten Umwelt- und Lebensstilfaktoren – man spricht auch von „erworbenen“ Faktoren im Unterschied zu angeborenen (genetischen) Faktoren – galten für beide Verläufe.

Außerdem interessant: Der durchschnittliche Auswirkungsgrad (Odds Ratio, kurz OR) der einzelnen Faktoren auf diese schwedische Patientengruppe:

  • So fanden sich durchschnittlich 1,6 (RRMS) bzw. 1,9 (PPMS) mal mehr (Ex-)Raucher unter den MS-Patienten als unter den Gesunden.
     
  • Unter hohem Übergewicht litten 1,7 bzw. 1,8 mal mehr Erkrankte als Gesunde. Auch „normales“ Übergewicht hatte bereits einen geringen Einfluss. Es zeigte sich, dass jeder Punkt hinter dem Komma des BMI das MS-Risiko erhöhte.
     
  • Wenig Sonnenexposition stellte für beide Verläufe ein leicht erhöhtes Risiko dar (1,3).
     
  • Hohe Antikörperlevel gegen Epstein-Barr waren mit 3, 0 (RRMS) bzw. 2,0-fach erhöhtem Rsisiko verbunden. Je höher der Antikörperlevel, desto höher fiel auch das Risiko aus.
     
  • Am meisten wirkte sich die hier untersuchte genetische Prädisposition auf das MS-Risiko aus. Träger des DRB1*15:01 Allels hatenn ein im Schnitt 3,5 mal erhöhtes Risiko an RRMS und ein 3,3 mal erhöhtes Risiko, an PPMS zu erkranken. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Multiple Sklerose keine Erbkrankheit im engeren Sinn ist. Bestimmte Gene können jedoch das Risiko erhöhen, wobei man heute davon ausgeht, dass sich zur genetischen Prädisposition bestimmte Umweltfaktoren gesellen müssen, damit eine Multiple Sklerose ausbricht.
     

Gleiche Mechanismen bei beiden MS-Verläufen

Sehr interessant ist daher auch der Zusammenhang zwischen dem genannten untersuchten Gen-Allel und den untersuchten Umweltfaktoren. Eine zusätzliche Verbindung zwischen DRB1*15:01-Allel und Umweltfaktoren ergab sich in der untersuchten Patientenkohorte bei

  • Rauchern,
  • stark Übergewichtigen,
  • hohen Epstein-Barr-Antikörper-Leveln und
  • geringer Sonnenexposition.

Die Wissenschaftler interpretieren die Gesamtheit ihrer Funde so, dass sowohl Umwelt- udn Lebensstilfaktoren als auch genetische Faktoren beide Phänotypen der MS beeinflussen (RRMS und PPMS) und daher beiden Verläufen die gleichen Mechanismen zugrundeliegen.

Redaktion: AMSEL e.V., 26.11.2021

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