Verletzte Nerven blockieren ihre eigene Regeneration
Verletzte Nerven blockieren ihre eigene Regeneration
Freitag, 6. August 2021

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Bochum – Verletzte Nervenfasern im Zentralen Nervensystem (ZNS) setzen offenbar am Ort der Verletzung einen Lockstoff frei, der wachsende Nervenfasern anzieht und so dort gefangen hält. Dadurch können sie nicht in die richtige Richtung wachsen, um die Verletzung zu überbrücken.
Das berichten Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Science (PNAS, 2021; DOI: 10.1073/pnas.2016409118).
Laut den Wissenschaftlern waren bislang 3 wesentliche Faktoren dafür bekannt, warum geschädigte Nervenfasern im ZNS sich nicht oder nur unzulänglich regenerieren: die unzureichende Aktivierung eines Regenerationsprogramms in verletzten Nervenzellen, welche das Faserwachstum anregt, die Ausbildung einer für Nervenfasern nur schwer zu durchdringenden Narbe an der Verletzungsstelle und eine hemmende Wirkung von Eiweißmolekülen im Nerven auf nachwachsende Axone.
„Wenngleich man in den vergangenen Jahrzehnten experimentelle Ansätze gefunden hat, auf diese einzelnen Aspekte therapeutisch einzugehen, zeigten selbst kombinatorische Ansätze nur einen mäßigen Erfolg“, sagte der Arbeitsgruppenleiter Dietmar Fischer von der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der RUB.
Die Forscher konnten nun am Modell des Sehnervs einen weiteren Faktor identifizieren: Der zugrunde liegende Mechanismus basiert nicht wie bei den bisher bekannten Gründen auf einer Hemmung des Faserwachstums, sondern auf einer positiven Wirkung eines Proteins an der Verletzungsstelle des Nervs.
zum Thema
- Abstract der Studie in Proceedings of the National Academy of Science
- Lehrstuhl für Zellphysiologie, Fakultät für Biologie und Biotechnologie, Ruhr-Universität Bochum
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Dieses Molekül ist ein sogenanntes Chemokin mit der Bezeichnung CXCL12. „Das Protein fördert eigentlich das Wachstum von Axonen und lockt regenerierende Fasern an“, so Fischer. Die Bochumer Forschenden konnten zeigen, dass dieses Protein an der Verletzungsstelle im Nerven freigesetzt wird und somit die Axone durch den chemoattraktiven Effekt an der verletzten Stelle hält. Einige Fasern, die bereits über die Verletzungsstelle hinweg regeneriert waren, wechselten sogar die Richtung und wuchsen wieder zurück.
Die Forschenden gingen der Frage nach, woher das CXCL12 stammt. Dabei fanden sie heraus, dass etwa 8 % der Nervenzellen in der Netzhaut selbst dieses Protein produzieren, es entlang ihrer Fasern zur Verletzungsstelle im Sehnerv transportieren und es dort aus den durchtrennten Axonen freisetzen.
„Wir kennen die physiologische Rolle des Proteins noch nicht, sehen aber, dass es für die Reparatur des Nervensystems sehr hinderlich ist“, so Fischer. © hil/aerzteblatt.de